Raus aufs Land…
Wenn Sie dem Urlaubstrubel entfliehen möchten – dann sind Sie in Morsum an der richtigen Adresse. Im östlichsten Inseldorf zeigt sich Sylt noch von seiner ursprünglichsten Seite. Verbinden Sie Ihren Besuch in der Sylter Seifen Manufaktur doch mit einem Rundgang durchs und ums Dorf. Wir verraten Ihnen, wo es am schönsten ist:
Von atemberaubender Schönheit ist das imposante Morsum-Kliff, in seinem geologischen Aufbau einmalig in ganz Europa. Diese imposante geologische Formation am östlichsten Zipfel der Insel dokumentiert zehn Millionen Jahre Erdgeschichte. Das 1800 Meter lange und bis zu 21 Meter hohe Kliff wurde 1923 als eines der ersten Gebiete auf Sylt unter Naturschutz gestellt. Nebeneinander fächern sich hier drei Erdschichten vom Jungtertiär bis zur Eiszeit auf. Ursprünglich lagen diese drei Schichten übereinander, wurden in der Eiszeit jedoch von Gletschern unter ungeheurem Druck aufgebrochen und nebeneinander gepresst.
Wer am Kliff spazieren geht und aufmerksam hinschaut, dem werden am Fuße des roten Kliffhangs eigenartig geformte, vom Wind ausgeblasene Röhren aus Sandstein auffallen. Da sich die alten Friesen die eigenartigen Gebilde nicht erklären konnten, bemühten sie die Sagenwelt. Demnach sind die Fundstücke das "Geschirr der Unterirdischen". Denn einst sollen Zwerge in verschlungenen Gängen im Morsum-Kliff gehaust haben, wo sie in einer Schmiede Töpfe, Schalen und anderes Gebrauchsgut herstellten. Die kleinwüchsigen Gestalten trugen breite Hüte oder spitze Mützen und waren für gewöhnlich unsichtbar. Nur wenn ein Mensch ein vierblättriges Kleeblatt in der Tasche bei sich trug, konnte er die Zwerge sehen. Falls Sie auch einmal auf den Spuren der Unterirdischen wandeln möchten: Die Naturschutzgemeinschaft Sylt organisiert regelmäßig Kliff-Führungen.
In der Heidelandschaft, die sich dem Kliff anschließt, wächst eine Reihe äußerst seltener Pflanzen, darunter der – Urlauber aus Bayern werden's kaum glauben – in den Alpen heimische Lungenenzian. Zu den weiteren botanischen Raritäten zählen das Gefleckte Knabenkraut – eine Orchideenart – und der Sonnentau mit seinen winzigen, weißen Blüten. Um Zum Morsum-Kliff zu gelangen, bleiben Sie durchweg auf der Hauptstraße und folgen an deren Ende der Beschilderung.
Gleich am Ortseingang von Morsum begrüßt ein Eisboot die Besucher. Die um 1920 gezimmerte Schute wurde vom Verein der Morsumer Kulturfreunde mit fünf lebensechten Figuren ausstaffiert, die im Sommer mit Fischerhemden, im Winter mit gelben Regenjacken bekleidet sind. Das Boot ist eine Hommage an unerschrockene Sylter: Wenn sich früher in besonders strengen Wintern ein breiter Eisgürtel um Sylt legte, gab es früher nur noch einen Weg zur Außenwelt: Die Fahrt mit dem Eisboot. Eine Handvoll unerschrockener Männer machte sich dann von Morsum auf den waghalsigen Weg zum Festland, um Post, Medikamente und Lebensmittel heran zu schaffen. In einem hölzernen Ruderboot paddelten sie zwischen den großen Eisschollen durch das Wattenmeer, mussten immer wieder aussteigen und das Boot mühsam bis zur nächsten offenen Wasserstelle übers Eis ziehen. So kämpften sich die Männer über eine Strecke von zwölf Kilometern hinweg. 1923 – unmittelbar vor Baubeginn des Hindenburgdamms, der eine dauerhafte Verbindung schuf – legte das Eisboot von Morsum ein letztes Mal ab.
Hinter dem Ortseingang sehen Sie linker Hand mehrere stolze Friesenhäuser, die weit über 200 Jahre alt sind. Die Grundrissform der alten Sylter Häuser war zumeist ein ausgedehntes Rechteck, dem die Scheune angegliedert wurde. Man baute grundsätzlich in Ost-West-Richtung, um den vorherrschenden Winden eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten. Die Dächer wurden mit Reet gedeckt, das man an verschiedenen Stellen auf der Insel schnitt. Warum man Reet bevorzugte? Die elastischen Schilfhalme sind äußerst widerstandsfähig gegen die Witterung und ein schlechter Wärmeleiter mit hoher Isolierung – daher bleibt die Wärme im Winter im Haus, während es im Sommer in den Räumen angenehm kühl ist.
Eine Kirche ohne Turm – stattdessen steht der Morsumer Kirche Sankt Martin ein hölzerner Glockenstapel zur Seite. Armut zwang dereinst die Gemeinde von Morsumer Fischern, Seeleuten und Bauern, die Größe des Kirchenbaus auf ein Mindestmaß zu beschränken und auf einen Kirchturm ganz zu verzichten. So trägt bis heute ein Holzgerüst die Glocke.
Das freilich tut der Anmut der kleinen Kirche keinen Abbruch. Die ehrwürdigsten Relikte des Gotteshauses sind das Weihbecken, der aus Gotland verschiffte Taufstein sowie die barocke Kanzel. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde das Morsumer Gotteshaus zu einer Wehrkirche umgebaut. Um die Kirche zogen sie einen Schanzgraben, in die Mauern wurden Schießscharten für ihre Gewehre geschlagen. An den Dreißigjährigen Krieg und die kurz darauf wütende Pest erinnert im Kirchenraum eine alte Gedenktafel mit friesischer Inschrift. Zur Morsumer Kirche gelangen Sie, indem Sie in der Mitte des Ortes von der Hauptstraße rechts in den Serkwai abbiegen.
Im Süden von Morsum bieten weite Wiesen und Felder ein Eldorado für Spaziergänger und Radfahrer. Besonders reizvoll: Eine Radtour entlang des Nösse-Deichs. Bis zu dessen relativ späten Bau war das Hinterland den Sturmfluten hilflos ausgeliefert, immer wieder stand das Wasser in den Dörfern. In den Jahren 1936 und 1937 wurde dann das schützende Bollwerk von 700 Arbeitern in Tag- und Nachtschichten gebaut.
Vor dem Deich erstreckt sich das Wattenmeer, ein ganz besonderer Lebensraum: Im Rhythmus von Ebbe und Flut verändern sich die Lebensbedingungen für die hier lebenden Tiere und Pflanzen alle paar Stunden aufs Neue. Auf den ersten Blick mag das Wattenmeer wie eine end- und leblose graue Schlickwüste wirken. Doch die Lebensvielfalt ist frappierend: Auf nur einem Quadratmeter leben bis zu zwei Millionen Organismen – kaum ein anderer Lebensraum auf der Erde weist eine ähnliche Vitalität auf. Entlang von Deich und Watt können Sie von Morsum bequem etwa zehn Kilometer bis zum Deichende südlich von Tinnum radeln.